Rechtsanwalt, Landrat, Generalstaatsanwalt, Oberlandesgerichtspräsident, einer der Väter der Bayerischen Verfassung und des Grundgesetztes der Bundesrepublik Deutschland, Bundesjustizminister, Bundestagsvizepräsident mit Staatsbegräbnis ... und Absolvent des damaligen „Alten Königlichen Gymnasiums“ im Kriegsjahr 1916. Eine Biographie, die einem den Atem raubt.


Und heute, im Jahre 2010, also im 21. Jahrhundert, was sagt uns das Leben dieser im 19. Jahrhundert (1897) geborenen Persönlichkeit heute? Viel, sehr viel sogar, einfach deswegen, weil Thomas Dehler Zeit seines Lebens die Verkörperung der Zivilcourage selbst darstellte.

In allen Abschnitten seines Lebens war es die Begeisterung für „Recht, Freiheit und Vaterland, die ihn antrieb“.

In die Wiege gelegt worden war ihm das alles nicht: geboren am 14. Dezember 1897 in Lichtenfels als Sohn des Metzgermeisters und Wirts Georg Dehler und seiner Ehefrau Elisabeth, kam er schon im Juni 1911, also als knapp 14-jähriger an das Alte Königliche Gymnasium in Bamberg. Im Mittelpunkt der Ausbildung standen Latein, Griechisch, Deutsch und Geschichte.

Aber bereits am 16. März 1916 musste er mit 15 seiner 18 Klassenkameraden als Kriegsfreiwilliger in die Armee eintreten. Für eine Reifeprüfung blieb wenig Zeit. Aufgrund eines Erlasses seiner Königlichen Majestät wurde ihm dann am 21. Juni 1916 die Hochschulreife bestätigt, was bei einem Zeugnis mit lauter Einsen sicher eine leichte Entscheidung war.

Am 03. Mai 1918 begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität München. Dieses Studium beendete er bereits nach fünf Semestern mit dem 1. Staatsexamen und der Promotion. Am 13. Juni 1924 wurde er dann als Rechtsanwalt zugelassen.

1926 – 1945: Rechtsanwalt

Der Konflikt mit den Nationalsozialisten wurde immer ausgeprägter, besonders ab dem Zeitpunkt, als er als Rechtsanwalt im Juli 1926 nach Bamberg zurückkehrte. Die Lebensumstände, seine Ehe mit einer Jüdin, seine Tätigkeit als Anwalt und nicht zuletzt sein immer stärker in die Öffentlichkeit tretendes politisches Engagement mussten nahezu zwangsläufig zu Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten führen. 1926 trat Dehler in die Kanzlei Josef Werner ein, der nicht nur Vorsitzender der jüdischen Gemeinde war, sondern auch der einzige Vertreter der „Demokraten“ in Bamberger Stadtrat. Werner war es auch, der ihn in die Freimaurerloge „Zur Verbrüderung an der Regnitz“ einführte. Die Freimaurer, deren Grundidee der Freiheitsgedanke ist, entsprachen der politischen Überzeugung Dehlers. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Dehler in seiner Eigenschaft als Anwalt ein hohes persönliches Risiko eingegangen ist, wenn er Juden verteidigt hat. Auf Grund seines Temperaments war es ihm wohl überhaupt nicht möglich, diplomatisch vorzugehen. Seit 1933 befasste sich der Rechtsanwalt vermehrt mit Prozessen, in denen es um die Abwicklung von Eigentumsangelegenheiten von jüdischen Auswanderern ging und um die Verteidigung angeklagter Juden. Von seinen zahlreichen Gegnern wurde er immer häufig als „Juden-Anwalt“ bezeichnet. Er äußerte sich dabei auch Richtern gegenüber sehr offen und kritisch. Der Druck auf Dehler wurde immer stärker, besonders durch Julius Streicher wurde er in dem Hetzblatt „Der Stürmer“ diffamiert. „Der Stürmer“ war die Propagandazeitung der Nationalsozialisten, die das geistige Klima geschaffen hat für „die systematische Verfolgung der Juden bis hin zu ihrer massenhaften Ermordung...“.

Dehler zeigte seine Ablehnung gegenüber den Nationalsozialisten ganz offen. Er weigerte sich, die Ehe mit Irma Frank zu lösen und übte ganz offen Kritik an Richtern. Darüber hinaus gehörte er – was damals in Bamberg unerkannt blieb – einem liberalen Widerstandskreis an. Thomas Dehler war unzweifelhaft Mitglied der Robinson-Strassmann-Gruppe. Die Vorläufer dieser Gruppe existierten seit etwa 1926 in Hamburg, gegründet wurde sie dann in der bekannten Form Pfingsten 1934 mit dem Schwerpunkt in Norddeutschland. Nach Meinung von Horst Sassin war es „diejenige Gruppe, die ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus am konsequentesten in die Tat umsetzte“.

Spekulationen gab es immer wieder, warum die Nationalsozialisten nicht in letzter Konsequenz gegen Dehler vorgegangen sind. Er hatte ja aus seiner Einstellung gegen die Nationalsozialisten keinen Hehl gemacht, ganz im Gegenteil. Er wurde zwar schikaniert, musste mehrmals seine Wohnung räumen, wurde verhaftet und zur Zwangsarbeit gezwungen. Horst Sassin führt das zurück auf Dehlers Schulfreundschaft mit Friedrich Kuhn, einem NSDAP-Blutordensträger, der sich in der NS-Zeit für Dehler eingesetzt hat.

Wenn es tatsächlich so war, dann hat ihm die „Unterstützung“ jedenfalls nicht geschadet, denn die US-Besatzungsbehörden sahen in ihm „die zentrale Figur der demokratischen und katholischen Opposition gegen die Nationalsozialisten im nördlichen Franken“. Sie haben ihm innerhalb kürzester Zeit wichtige öffentliche Aufgaben übertragen.

1945 – 1949: Generalstaatsanwalt – Generalankläger - Oberlandesgerichtspräsident

Für Thomas Dehler muss diese Zeit ein turbulenter, hektischer und sehr arbeitsreicher Lebensabschnitt gewesen sein. In schneller Folge kamen auf ihn zahlreiche Aufgaben zu, die sich häufig zeitlich überschnitten und von höchster Bedeutung waren.

Sein unbeugsames und kritisches Verhalten gegenüber den Nationalsozialisten muss bei den Amerikanern einen großen Eindruck hinterlassen haben. Sie hatten über ihn Informationen und haben ihn 1945 in einem Bericht wie folgt beschrieben: „Intelligent, mutig, ausgeglichen, würdevoll, hat soziales Bewusstsein, leidenschaftlich interessiert an internationaler Zusammenarbeit, vornehme Manieren, aber sehr bestimmt bei wichtigen Dingen“.

Neben der Persönlichkeit Dehlers spielte auch eine wichtige Rolle, dass offensichtlich in den Augen der Amerikaner viele Richter und Staatsanwälte nationalsozialistisch vorbelastet waren. Bereits im Juli 1945 wurde er durch die amerikanische Militärregierung zum Landrat für den Kreis Bamberg ernannt. Es folgte dann die Übernahme des Vorsitzes im Bamberger Bürgerkomitee. Beide Ämter hat er wohl mit Engagement wahrgenommen, denn seine Arbeit wurde positiv gewürdigt.

Bereits am 01. Dezember 1945 wurde er durch den Bayerischen Ministerpräsidenten zum Generalstaatsanwalt in Bamberg ernannt.

Am 14. Juni 1947 erfolgte dann die Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsident in Bamberg. Damit war Dehler zum höchsten Richter in den Regierungsbezirken Oberfranken und Unterfranken geworden.

Die Bildung des Parlamentarischen Rates, dessen Aufgabe es war, ein Grundgesetz für (West-) Deutschland auszuarbeiten, ging auf eine Initiative der Ministerpräsidenten aus den Ländern zurück, die durch die Amerikaner, Engländer und Franzosen besetzt waren.

Dehler spielte bei den Beratungen eine wichtige Rolle, zumal er dem nur 3-köpfigen Redaktionsausschuss angehörte, der nicht nur für die redaktionellen Änderungen der Texte zuständig war, sondern selbst weitergehende Vorschläge einbrachte.

Wesentliches Anliegen von Dehler war die Stärkung der Grundrechte. Er wollte unter allen Umständen verhindern, dass sich die „legale“ Machtergreifung Hitlers durch radikale Gruppen wiederholen könnte. Diese Grundhaltung hat sein Verhalten im Parlamentarischen Rat geprägt.

1949 – 1967: Organisator eines Neuen Justizwesens - erster Bundesminister der Justiz – Vorsitzender der FDP - Vizepräsident des Deutschen Bundestages

Grund für die Berufung in die Erste Regierung von Konrad Adenauer waren seine Verdienste als Jurist sowie seine Arbeit im Parlamentarischen Rat, mit der er sich eine hohe Anerkennung erworben hatte.

Mit Thomas Dehler übernahm ein liberaler Politiker mit untadeliger Vergangenheit das Justizministerium.

Als er am 20. September 1949 sein Amt als erster Bundesjustizminister der soeben gegründeten Bundesrepublik Deutschland antrat, waren seine ersten Aufgaben:

  1. Einleitung von rechtspolitischen Sofortmaßnahmen
  2. Überprüfung, ob die alten Gesetze und Verordnungen im Einklang stehen mit dem Grundgesetz und den gewandelten Rechtsanschauungen
  3. Befreiung der gesamten Rechtsordnung von nationalistischem Gedankengut
  4. Wiederherstellung der Rechtseinheit
  5. Einleitung der Rechtsreform

Eine wichtige Rolle hatte Dehler im Bereich des Jugendstrafrechts. Im Vordergrund sollte nicht mehr die Vergeltung einer Straftat stehen, sondern die Erziehung von straffällig gewordenen Jugendlichen von 18 – 20 Jahren, die nach dem Jugendstrafrecht, behandelt wurden. Neu eingeführt wurden auch Bewährungshelfer und „jugendkundige Laienrichter“.

Bekannt geworden ist Dehler auch als leidenschaftlicher Gegner einer Wiedereinführung der Todesstrafe. In einer beeindruckenden Rede vor dem Deutschen Bundestag am 02. Oktober 1952 begründete er seine Meinung, als die Befürworter der Todesstrafe eine Grundgesetzänderung erzwingen wollten.

Bei seiner Arbeit als Justizminister hat sich Thomas Dehler immer auf seine liberalen Grundüberzeugungen berufen. Rechtsstaatlichkeit, Menschenrecht, Freiheit des Individuums, Eigentum, Vertragsfreiheit und Marktwirtschaft waren für ihn Werte, für die er gekämpft hat. Dabei hat er stets die Verantwortung der einzelnen Menschen für die Gemeinschaft betont.

Nachdem CDU/CSU und FDP eine Koalition bildeten, rechnete Dehler fest damit, wiederum in das Kabinett von Adenauer als Bundesjustizminister berufen zu werden. Dehler hatte sich aber im Laufe der ersten Legislaturperiode sowohl in der Union als auch bei der FDP zahlreiche Gegner geschaffen. Seine zum Teil sehr verletzenden verbalen Angriffe auch gegenüber Parteifreunden, Gewerkschaften, der Kirche und den politischen Gegnern zeigten in dieser Situation ihre Wirkung.

In der Nachkriegspolitik gilt. Dehler noch heute als der „große Liberale“. 1946 gründete er sowohl den Kreisverband Bamberg wie auch den Landesverband Bayern der Freien Demokratischen Partei (FDP). Im Bund war er jahrelang Vorsitzender dieser Partei. Hans – Dieterich Genscher, in diesem Amt einer der Nachfolger Dehlers sagte: „Kein anderer Mann außerhalb meiner Familie hat mich so fasziniert, und auch verzaubert, niemand verlangte mir von Beginn an bis auf den heutigen Tag größere Hochachtung ab als Thomas Dehler“.

Zuletzt bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages.

Am 21. Juli 1967 erlag Thomas Dehler einem Herzschlag.

Der damalige Bundespräsident Lübke ordnete ein Staatsbegräbnis an. Zur Beerdigung und Trauerfeier verneigten sich die höchsten Würdenträger der Bundesrepublik Deutschland an seinem Grab.

Dr. Thomas Dehler hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht. Und was bleibt bis heute?

In allen seinen Lebensabschnitten war Dehler ein engagierter Kämpfer für Recht und Freiheit und die Würde des Menschen

  • Als Rechtsanwalt kämpfte er auch im Dritten Reich für seine Ideale. Dabei nahm er selbst die Gefahr der beruflichen und menschlichen Vernichtung auf sich
  • Nach dem Kriege organisierte er zunächst das Gerichtswesen im Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg neu.
  • Als Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlungen wirkte er maßgeblich an der Ausarbeitung der Bayerischen Verfassung und der Grundgesetztes mit. Wenn Deutschland nach dem Kriege wieder in den Kreis der zivilisierten Völker aufgenommen wurde und wenn wir heute in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat leben, dann ist das auch sein Verdienst.
  • als erster Bundesjustizminister nach dem Kriege hat er in der neu gegründeten Bundesrepublik die Obersten Bundesgerichte aufgebaut und die neue Verfassung vor Angriffen der „ewig Gestrigen“ verteidigt.

Zum Schluss noch zwei persönliche Aussagen, die den unerschrockenen Kämpfer für Recht und Freiheit uns näher kommen lassen:

„Eher opfere ich mein Amt, als dass ich passiv zuschaue, wenn Gefahr besteht für Volk und Staat“ (1953)“

„Ich kann nicht anders, und wenn sie mich auf der Straße erschlagen“ (1944)

Wolfgang G. Jans,
Rechtsanwalt