... unangepasst zur eigenen Überzeugung stehen 

Förderkreis zur Pflege des Erinnerns an Hans Wölfel

Als ein in Österreich geborener Jugendlicher 1915 an unsere Schule kam, die damals „Altes Gymnasium“ hieß, ahnte er sicher noch nicht, dass man ihn später zu den größten Persönlichkeiten zählen würde, die das heutige KHG in seiner Schulgeschichte aufweist. Auch dass man den aus einer Gärtnerfamilie in Bad Hall stammenden Hans Wölfel nach seinem Tod als „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ bezeichnen würde, hätte den Jungen sehr verwundert und erschreckt.

Der außergewöhnlich begabte und bildungshungrige Schüler war froh über die Chance, die sich ihm bot. Als überzeugter Katholik engagierte er sich für seine Mitschüler in der MC des Alten und Neuen Gymnasiums (KHG / FLG), einem Jugendverband, in dem er eine führende Rolle übernahm. 

Auch politisch wollte er mitgestalten und trat mit 17 Jahren in verschiedene Freikorps ein. Das waren Gruppen, die sich in den revolutionären Unruhen nach dem 1. Weltkrieg aus ehemaligen Soldaten bildeten. Schon damals allerdings zeigte sich ein wesentlicher Charakterzug des Oberstufenschülers: sein eigenständiger, kritischer Geist. Hans Wölfel war begeisterungsfähig und sehr einsatzfreudig, aber er tat nichts, wovon er nicht überzeugt war. Als er daher den angepassten Untertanengeist seiner Kameraden durchschaute, vor allem aber ihre oft monarchistische, antidemokratische Gesinnung, die sogar Gewalt rechtfertigte, distanzierte er sich von ihnen. Neben dem Christentum reifte seine andere Grundüberzeugung, der er von nun an immer treu bleiben sollte: Demokratie und Rechtsstaat.

Nach seinem Abitur 1922 ging er nach München und begann, Jura zu studieren. Auf dem Katholikentag dort hörte er Konrad Adenauer eine Rede halten, sowie den Münchener Kardinal Faulhaber. Beide beeindruckten ihn, weil sie in einer Zeit der Verschwörungstheorien und des oft fanatischen Nationalismus für Demokratie und Besonnenheit eintraten. So setzte er sich auch selbst mit fragwürdigen Traditionen kritisch auseinander und entwickelte eine gemäßigte Haltung, die auf menschliche Werte setzte und nicht auf Rachegedanken und Hassgefühle.

Während er sein Studium in Würzburg fortsetzte, fiel ihm die soziale Entfremdung und ethische Entwurzelung der gesellschaftlichen Eliten auf. Die Verachtung breiter Volksschichten durch das wohlhabende und gebildete Bürgertum erkannte er schon zu seiner Zeit als wahre Schwäche der Demokratie. Solches Denken als eigenen Standpunkt - auch in der Minderheit - zu vertreten, erforderte bereits in der Weimarer Republik Mut. Nüchternheit, Klarheit, Courage wurden zu Persönlichkeitsmerkmalen Hans Wölfels, die er brauchte, um nicht einfach den bequemen Karriereweg zu gehen. Stattdessen war er bereit anzuecken, wenn er in der Gesellschaft Dinge bemerkte, die sich nicht vertrugen mit den hohen Werten, die gerade auch unter Akademikern als Lippenbekenntnisse oft beschworen wurden. Entscheidend war für Wölfel dabei, dass er sich nicht abhängig machte von Menschen, die ihm nützen konnten. Ebenso wenig fixierte er sich auf eigene Interessen, sondern er nahm sich selbst nicht so wichtig und konzentrierte sich auf die größere Verantwortung gegenüber der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Gott selbst. Vielleicht ahnte er in diesen Momenten zum ersten Mal, dass dies eines Tages auch bedeuten könnte, sogar sein Leben aufs Spiel zu setzen.

Die Situation dramatisierte sich durch die wachsende Zustimmung der Deutschen zur NSDAP. Wölfel grenzte sich schon 1923 in einer Rede massiv davon ab: Er stellte religiöse Überzeugung gegen Völkerhass und völkischen Egoismus. Drei Jahre später bestand er sein 1. Staatsexamen, wurde Rechtsreferendar, trat 1928 in die Bayerische Volkspartei (BVP) ein. Im selben Jahr erzielten die Nationalsozialisten ihr bestes Wahlergebnis des Reiches in Franken. Nach dem 2. Examen 1929 ließ er sich in Bamberg als Rechtsanwalt nieder, er eröffnete eine Kanzlei in der Luitpoldstraße und heiratete. Das junge Ehepaar, das 1931 eine kleine Tochter bekam, erlebte die Wirtschaftskrise und den erheblichen Zuspruch zur NSDAP in Bamberg. Nazigrößen, auch Hitler persönlich, waren von 1925-29 immer wieder anwesend.

Hans Wölfel stemmte sich dieser schleichenden Vergiftung der Gesellschaft mit seinen Mitteln entgegen: hohe Ehrenämter im Erzbistum Bamberg ermöglichten ihm, Vorträge und Veranstaltungen zu organisieren, wo er die Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und Nationalsozialismus deutlich machte. Vielen Opfern der Nazis half er juristisch, ohne ein Honorar zu verlangen. Zudem pflegte er Kontakte zu geheimen Widerstandskreisen gegen die entstehende NS-Diktatur, die ein anderes, auf Freiheit und Gerechtigkeit gegründetes Deutschland wollten.

Als Wölfel einmal während eines Urlaubs kritische Bemerkungen über Hitler machte, wurde er denunziert und am 12. Oktober 1943 in Bamberg verhaftet. Man deportierte ihn nach Berlin, wo er vor dem Volksgerichtshof am 10. Mai 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt wurde. Die Vollstrecker dieser zynischen Justiz schlugen ihm am 3. Juli 1944 im Exekutionsgefängnis Brandenburg an der Havel den Kopf ab. Zuvor verzieh der 42-jährige aus seinem Glauben heraus allen Menschen, die an ihm schuldig geworden waren. 1947 gelang es, seine Urne in ein Ehrengrab der Stadt Bamberg zu überführen.

Unsere Schule verdankt ihm das exemplarische Bild eines ehemaligen Schülers, der seine religiösen und ethischen Werte aufrichtig bis zur äußersten Konsequenz bezeugte, wie es dem griechischen Ursprung des Begriffs „Märtyrer“ entspricht.

Gedenkfeier für Hans Wölfel unter Beteiligung des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums

Anlässlich des 65. Todestags unseres ehemaligen Schülers Hans Wölfel, der am 3. Juli 1944 von den Nationalsozialisten ermordet wurde, fand in der Katholischen Hochschulgemeinde eine Gedenkfeier statt, die auch einen Beitrag des KHG bot. Schülerinnen und Schüler der Klasse 7b trugen Texte von Hans Wölfel vor und ernteten dafür von Veranstaltern und Teilnehmern viel Lob und Dank.

Die Willy-Aaron-Gesellschaft Bamberg e.V. hatte zu der Veranstaltung am 5.7.2009 eingeladen und konnte weit mehr Gäste begrüßen als in den Jahren zuvor, so dass auch das Hinterzimmer noch bestuhlt werden musste. Der Vorsitzende, Dr. Czugunow-Schmitt, dankte den vielen interessierten Bürgerinnen und Bürgern sowie den zahlreichen Ehrengästen für Ihr Interesse. Er wertete es als Zeichen der wachsenden Anerkennung für die Persönlichkeit Wölfels.

Nach einem einleitenden Musikstück und einem Grußwort des Stadtrats Dr. Heller im Namen der Stadt Bamberg leitete OStR Franze den Programmteil desjenigen Bamberger Gymnasiums ein, an dem Hans Wölfel 1922 sein Abitur abgelegt hatte. Er betonte, dass es eine Ehre sei, an einen so beeindruckenden Glaubenszeugen in der eigenen Schulgeschichte erinnern zu dürfen. Besonders würdigte er, dass auch 65 Jahre nach Wölfels Tod noch junge Schülerinnen und Schüler spontan bereit gewesen wären, Texte von ihm bzw. in besonderer Beziehung zu ihm vorzutragen.

Damit war das Stichwort gegeben für Amalia Luncanu, Vera Muff, Patrick Klösel, Simon Popp und Sebastian Metzler (alle 7b). Sie spannten einen weiten Bogen von Gedichten des zwölfjährigen Schülers Hans Wölfel bis zum Abschiedsbrief des 42-jährigen Rechtsanwalts an seine Frau und seine Tochter, den er am Tag seiner Enthauptung in Brandenburg an der Havel verfasst hatte. Angesichts dessen, dass diese Tochter damals exakt so alt war wie die Schüler heute, vor allem aber dank ihrer äußerst feinfühligen und eindrucksvollen Vortragskunst, ging eine spürbare innere Bewegtheit durch den Saal, die in herzlichen Beifall mündete.

Ein weiteres Intermezzo leitete zum Vortrag von Mechthildis Bocksch über, der Herausgeberin eines einschlägigen Buches über Hans Wölfel. Sie erinnerte an dessen tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben und kontrastierte seine Haltung gegenüber der NS-Bewegung mit der Angst der Apostel im Evangelium von der Stillung des Seesturms. Wölfel habe die Handlungsunfähigkeit angesichts der Macht der NSDAP überwunden und sei aufgestanden, um dem Sturm zu trotzen. So sei es ihm gelungen, führte die Referentin weiter im Vergleich aus, über den Bootsrand hinauszublicken, die Orientierung zu bewahren und Kurs zu halten auf schwankendem Grund. Sie zitierte sein öffentliches Bekenntnis bereits aus dem Jahr 1923: „Wir verweigern einer völkischen Bewegung jede Unterstützung, die den Völkerhass von vornherein als [sic!] Pflicht macht, schon allein deswegen, weil [dies] unchristlich ist und [weil] auch alles, was auf Hass und völkischem Egoismus aufgebaut ist, auf tönernen Füßen steht und zusammenbricht“. Nachdem Wölfel immer wieder die Unvereinbarkeit christlicher Werte und nationalsozialistischer Ideologie unterstrichen und regelrecht gewettert habe gegen die menschenverachtende Haltung der gerade in Franken sehr starken NSDAP, sei der politische Prozess gegen ihn vor dem Volksgerichtshof in Berlin zu befürchten gewesen.

Im anschließenden Plenumsgespräch schlugen anrührende Wortmeldungen hochbetagter Zeitzeugen eine Brücke von der historischen Perspektive zur persönlichen Erinnerung. Zudem wurden Anzeichen mitgeteilt für eine gesteigerte Erinnerungskultur seitens der Stadt bezüglich „ihrer“ großen Gestalten des Widerstands: neben dem adeligen Hitlerattentäter Stauffenberg aus dem Offizierskorps könnten der jüdische Sozialist Willy Aaron ebenso wie der katholische Rechtsanwalt Hans Wölfel im Focus stehen. Kirchlicherseits wurde darauf hingewiesen, dass ein Seligsprechungsverfahren laufe und dazu beitragen könnte, die charakterstarke, unangepasste und wertgebundene Gestalt Hans Wölfels so zu ehren, wie es der Zelebrant des Requiems in St. Gangolf, Prälat Jupp Schneider, schon 1944 mutig getan hatte: Trotz anwesender Gestapo bekannte er sich im gegen die liturgische Vorschrift nicht schwarzen, sondern roten Messgewand zu einem Märtyrer des 20. Jahrhunderts.

Bernd Franze