Sicher kennen Sie noch die Erzählmaus, für den Aufbau von Erzählungen, aus Ihrer Schulzeit. Heinrich von Kleist kannte sie offensichtlich nicht, seine Art des Erzählens erinnert eher an einen Igel. Auf und ab, Spannung und Entspannung, Utopien und Katastrophen. Und genau mit einer solchen beginnt „Das Erdbeben von Chili“ auch: Zwei wie es scheint aussichtslose Situationen. Der eine will sich im Gefängnis erhängen, die andere ist auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung.
Aber erstmal alles auf Anfang: Jeronimo Rugera wird vom wohlhabenden Don Henrico Asteron als Hauslehrer für dessen Tochter Donna Josephe angestellt. Die beiden verlieben sich zum Missfallen des Vaters, der Jeronimo wegen seines niederen Standes nicht als Ehemann seiner Tochter akzeptiert. Um die Verbindung der beiden zu zerstören, schickt er Josephe in ein Kloster. Doch auch dieser radikale Schritt hindert die beiden nicht an ihren Treffen… Josephe wird schwanger und als das Kind schließlich auf die Welt kommt, werden sie und Jeronimo inhaftiert, da ihre begangenen Sünden nun offensichtlich sind.
Durch ein heftiges Erdbeben, als alles bereits verloren scheint, gelingt es den beiden unabhängig voneinander ihren Schicksalen zu entfliehen. Kurze Zeit später trifft Jeronimo in einem Wald auf Josephe, die das gemeinsame Kind aus dem Kloster gerettet hat.
In einem Tal treffen sie auf weitere Opfer des Erdbebens, übernachten dort und sind erstaunt über das Zusammenleben all dieser Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Arm und reich. Gläubige und Verbrecher. Männer und Frauen. Und dennoch sind alle gleich. Eine Utopie, die in der Realität vermutlich niemals eintreten wird.
In besagtem Tal treffen Jeronimo, Josephe und Sohn Phillip auf befreundete Adelige: Don Fernando, Donna Elvire, ihre Schwestern und der gemeinsame Sohn Juan. Durch Euphorie über die veränderte Stimmung und die Wiederaufnahme in die Gesellschaft beschließen Josephe und Jeronimo in Stadt zurückzukehren und dort einen Gottesdienst zu besuchen. Don Fernando, Juan und Donna Constanze, die Schwester von Elvire, begleiten sie. Zuerst scheint alles perfekt, bis der Chorherr von Sittenverfall und dessen Schuld an der Katastrophe predigt. Ein Zuhörer erkennt Josephe und ein Tumult bricht aus. Don Fernando versucht die Wogen zu glätten, kann aber nicht verhindern, dass Jeronimo, durch seinen eigenen Vater verraten, erschlagen wird. Ihm folgt Donna Constanze, die mit Josephe verwechselt wird. Aus Trauer und Verzweiflung stellt sich Josephe der Meute und wird ebenfalls ermordet. Don Fernando versucht nun beide Kinder, Phillip und Juan, zu schützen und aus dem mordlustigen Tumult zu entkommen. Jedoch wird ihm sein Sohn entrissen und brutal ermordet.
Im Glauben alle drei Sünder ermordet zu haben, löst sich das Gemetzel auf und Don Fernando kehrt mit Jeronimos und Josephens Sohn zu Donna Elvire zurück. Die beiden entschließen sich Phillip aufzunehmen und großzuziehen.
Hätten Sie das erwartet? Alles scheint gut zu sein und plötzlich wie aus dem Nichts ändert sich die Situation um 180 Grad. Und als wäre es nicht schon schlimm genug, es wird immer schlimmer, genau für dies schrecklichen Steigerungen – bis zum Exzess – ist der Autor bekannt. Tja – Kleist und seine ganz speziellen Happy Ends!
Wenn Sie bis hier gelesen haben, fragen Sie sich sicherlich, warum gibt es nun diesen Bericht auf der KHG-Homepage? Am Donnerstag, dem 12.1.2023, besuchten wir im Rahmen des Deutschkurses 1d4 (Q11) mit unserer Lehrerin Frau Flache das E.T.A Hoffmann Theater in Bamberg, um dort eine Lesung von Heinrich von Kleists „Das Erdbeben in Chili“ zu hören. Nicht nur Stephan Ullrich begeisterte mit seiner besonderen Stimme und Art des Vorlesens, auch die Novelle war, typisch für Kleist, ein auf und ab der Gefühle.
Leonie Theil (Q11)