...das die Bamberger überfordert
„E.T.A. Hoffmann. Der Gespenster-Hoffmann. Dieser spillerige, vogelgesichtige Zappelphilipp, dieser Mensch aus Haut und Knochen und einer Extraportion Fantastik. Dieser Jurist, der auch Komponist und Theaterkapellmeister war, dieser Kammergerichtsrat, der auch Maler und Zeichner war, dieser Erotomane, der auch beharrlicher Ehemann war, dieser Säufer, der auch und vor allem Dichter war, der die Bizarrerien des 19. Jahrhunderts vorausschrieb (von Poe bis zu Lewis Carroll und zu Stevensons Jekyll und Hyde) und Jacques Offenbach inspirierte, dieser Spinner, der ein Realist des doppelten Bodens, dieser Schicksalgeplagte, der zeitlebens sein eigener Nebenmensch gewesen ist.“ So sprudelte es aus Dieter Hildebrandt 2001 heraus, als er für die ZEIT über ihn schrieb. Ein Multitalent, dessen „Sandmann“, von den Deutschkursen der Q11 gelesen wurde und dessen frühere Wohnung am Schillerplatz Frau Groth und Herr Franze mit ihren Kursen besuchten, in der Hoffnung, auch so wenigstens ein paar Zugänge zu dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit zu vermitteln, mit der das bornierte Bamberger Bürgertum so wenig anfangen konnte.
Andreas Ulich von der Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Gesellschaft führte die Schülerinnen und Schüler außerordentlich kundig und eloquent durch die engen Zimmerchen des schmalen Hauses, wo Hoffmann auf schmalem Fuß leben musste, nachdem sein erster Auftritt als Musikdirektor 1808 vom Orchester gnadenlos vergeigt worden war und er sich, am Theater zum Faktotum degradiert, mit Privatunterricht durchschlug und zu schreiben begann. Die Schülerinnen und Schüler staunten über die Modernität Hoffmanns, der in seiner Zergliederung der menschlichen Psyche manches von Freud vorwegnahm, der als Jurist souverän nach Recht und Gesetz vorging und nicht, wie damals oft der Fall, nach willkürlicher Weisung von Vorgesetzten. Sie wurden berührt von seiner enormen Musikalität und lachten über seine oft derben Scherze, seine ätzende Ironie und seinen unbestechlichen Sarkasmus.
Nichtsdestotrotz war er eine überaus zarte, romantische Seele, er litt unter der plumpen Gewöhnlichkeit auch des vermeintlichen Bildungsbürgertums. Seine Klavierschülerin Julia Marc, deren Stimme ihn so bezaubert hatte, dass er sie unbedingt unterrichten wollte, ließ ihn träumen, musste aber natürlich einen wegen seines Geldes von deren Eltern ausgewählten Hamburger Kaufmann heiraten, den sie nicht liebte.
Zum Abschluss der Führung zeigte das „Sandmannzimmer“ ein die Fantasie anregendes Interieur, das Anspielungen auf das Thema „Augen“ machte, die für Hoffmann ein Tor zur Seele waren und das Lesen von Gedanken ermöglichten. Multiperspektivität in einer eindimensionalen Provinzstadt – das konnte nicht gutgehen. Und so wurde Hoffmann nicht nur aus der Familie Marc verbannt, sonder verließ 1813 auch die Stadt. Wir sind froh und dankbar, dass er dennoch seine geistvollen Spuren hinterlassen hat.
B. Franze