Viel Spaß mit Tiefgang auf den Yellow Mountains
Erinnerungen ans Weihnachtskonzert, 18.12.2019, 19 Uhr
Graue Dezembertage: da kann sie an der Innenwand des Schädels in blasser Schrift aufdämmern, die Trivialerkenntnis, dass die Zeiten kommen und gehen – und so die Menschen – und dass kostbar ist, was über allen Wandel hinweg bleibt. Und man wird daran erinnert, dass man seinem Gedächtnis unter die Arme greifen soll, gegen ein melancholisches „Lethe, Lethe, du entschwandest“, mit Ginkgo, mit Ginseng und Ginger Ale… Haben wir das aber wirklich nötig? Machen wir einen Test! beim Weihnachtskonzert des KHG, das eine der erwähnten erfreulichen Konstanten ist.
Keine Kunst wäre es, sich an ähnliche Auftakte in früheren Jahren zu erinnern, teils dynamisch, teils getragen: die Big Band (perfekt betreut, wie der Bläsernachwuchs und das Streichquartett, von Florian Zeh) ließ den „Call of Christmas“ (W. Stalman) erklingen, in dem man „Adeste fideles“ erkannte – sodass sich, zusammen mit dem traditionell abschließenden gemeinsamen Gesang, ein Rahmen ergab; dann erstrahlten in nostalgischer Majestät J. de Haans „Yellow Mountains“ , gefolgt von einer „Rêverie“ – spontane Assoziation: wie eine reizvolle Kombination aus Abendsegen und Hexenritt, wäre Humperdinck 1981 als A. Kofler wiedergeboren worden. Kofler war schon letztes Jahr dabei, J. de Haan 2013 und 2016; und sie dürfen durchaus wiederkommen. Bewährt hat sich auch die Präsentation von Weihnachtsliedern aus verschiedenen Ländern: neben Zoltán Kodálys "Veni Emmanuel" erklangen Bearbeitungen von Florian Ziller, wie das festliche frohe "Donegal Boy", "Kommet ihr Hirten" oder "Fröhliche Weihnacht überall", mit dem Bläser-und Sängernachwuchs und den Flötistinnen K.Schweizer und A.Reul. Selten oder nie kam es bisher vor, dass niemandem das Prädikat "Besonders reiner Klang, besonders schön, besondere Wohltat für die Ohren" zu verleihen gewesen wäre - 2019 möchte es der Berichterstatter dem Bläserquartett für "A Christmas Carol" von Lloyd Conley antragen (A.Saffer, J.Meier, B.Meier, P.Mühlich, Ltg. Birgit Lang).
Ja, wo schloss das diesjährige Konzert an Vorgänger an, welche Erinnerungen wurden geweckt? Im Schnellsuchlauf glühten die Synapsen insbesondere bei 2015 auf: auch damals trafen Bach und Mozart in einem Programm zusammen; und Marcus Helbach war beteiligt, der nun wiedergekehrt ist, zum einen als Verantwortlicher für das Percussionensemble: temperamentvoll und geistreich Robert J. Barnett, Christmas by the numbers (schon 2012 dabei!). Das bedeutet wohl: Weihnachten, wie es sein soll und mehr oder weniger bekannte Melodiestücke mit sich bringt. Zudem hatte M. Helbach die Klasse 5 c mit ihrem „Weihnachtsgast“ eingeladen – also das so betitelte Minimusical von Uli Führe einstudiert (Vergleichbares gab es vielleicht einmal bei einem Sommerkonzert). Ein Fremder bringt Frieden in eine von Weihnachtsstress und Streit entzweite Familie, das wurde mit großem Einsatz eindringlich verdeutlicht - weiter so, 5 c! Gelegenheiten, wo zumal alte und ältere Besucher immer wieder einmal „Leicht gewöhnungsbedürftig, oder?“ murmelten, kommen einem in den Sinn, wenn man selbst zu dieser Gruppe im Publikum gehört – diesmal könnte man da „Viva la vida“ von der erfolgreichen Band Coldplay nennen, unbeschadet der vollen Anerkennung für Anna-Sophie Zauritz, Gesang, und die Ine-Band der Oberstufe, die sich einer nicht geringen Herausforderung gewachsen zeigten. Ist das Leben, zumal das an Weihnachten zu feiernde, tatsächlich eine ziemlich gleichförmig hämmernde Maschine? Hausaufgabe: Nachdenken, mit offenem Ausgang, darüber und über den Text …
Spaß beiseite! und, wenn es auch nur ganz wenige betrifft: bitte, allen Ernstes, Smartphone beiseite! Denn natürlich ergaben sich zwischen den einzelnen Stücken ein paar längere Lücken, etwa vor dem großen harmoniegesättigten Finale mit John Rutters, eines inzwischen guten Bekannten, "Jesus Child" (Orchester und Kaiser-Heinrich-Kollegium, existent seit 2008) - aber musste man sie damit füllen, dass man mitten im Konzert auf einem seiner beiden Handys die Zwischenstände der Bundesliga studierte und mit dem anderen gottweißwas trieb, sodass andere, die zufällig in der Nähe saßen, gar nicht umhin konnten, das mitzubekommen? Fehlte bloß noch ein cooles "Hallo, ich bin grade nicht im Bus" und es wären einem, plötzlich mit der Einsicht konfrontiert, welche Haufen übermächtiger Einflüsse man wegzuschaufeln hätte, bevor "Erziehungsarbeit" eine Chance haben könnte, Spaß und Freude vermutlich kurzzeitig getrübt worden. Und die wollte man doch haben, z. B. an den Darbietungen des Streichquartetts (G. Geiger, J. Baumüller, H. Baumann, A. Ritter), das sich vom Menuett aus KV 590 zu einem „Swedish Traditional“, arrangiert vom Danish String Quartet, steigerte. Ort des Geschehens war übrigens wieder die gut gefüllte Obere Pfarre, die der Chor, im Anschluss an J. Rutters Wunsch „The Lord bless you and keep you“ (Vokalensemble; verlässlich am Klavier jeweils K. Schümann), mit Audrey Snyders „Ubi caritas“ mit sicherem Schritt und Gesang vom Eingang zum Altar durchmaß. Das war etwas Neues; wie auch das Engagement von Julia Braun, die das Reagenzglas mit dem Taktstock vertauschte und zusammen mit dem Orchester verdienten Beifall erntete: für "Jesus Child", für K.Jenkins, Palladio, und G.Holst (wie 2013 dabei, wir haben's natürlich nicht vergessen!), In the bleak midwinter, Werke voll innerer Spannung, gebändigter Ungeduld, Erwartung großer Ereignisse, und für "Jesu, Joy of Man's Desiring" aus der Kantate BWV 147. Wohl uns, dass wir John S. haben.
Und Irmingard Köhler (zuständig für die Gesangsbeiträge), Michael Strehler (Orchester), Florian Zeh - keine neuen Namen, was einen nicht dazu verführen sollte, ihre jeweils aktuelle Leistung als Musiklehrer, die den Abend prägen, schnell als selbstverständlich zu übergehen; gelegentlich darf man ihnen sicher ausdrücklich danken. Also!
Also! Das Gedächtnis ist noch leidlich intakt; und das Konzert war schön, eindrucksvoll, anregend - nun darf es hinabgleiten in das dunkle Reich, über dessen Portal die Frage "Où sont les neiges d'antan?" verwittert. Anderseits ist das doch tröstlich wahr, was mit kühnem Vorgriff auf Hölderlins 250.Geburtstag 2020 so formuliert sei: "Was bleibet aber, stiften die Musikanten."
M. Schleifer